28.07.2022: Nach Muster getötet (Tageszeitung junge Welt)

2022-08-13 14:44:58 By : Mr. SEAN LIU

In Kolumbien müssen sich auch hochrangige Militärs für Verbrechen während des bewaffneten Konflikts vor Gericht verantworten. Die in Folge des Friedensabkommens von 2016 eingerichtete Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) lud am Dienstag (Ortszeit) General Mario Montoya in der Hauptstadt Bogotá vor. Montaya war zwischen 2006 und 2008 Oberbefehlshaber der kolumbianischen Armee und soll im Rahmen des sogenannten Falls 03 aussagen. Die Anhörung soll am 28. und 29. September stattfinden, auch Betroffene und deren Vertreter dürfen teilnehmen.

Unter der Bezeichnung »Fall 03« untersucht das Sondergericht von staatlichen Einsatzkräften begangene Morde an Zivilisten, die anschließend als in bewaffneten Kämpfen gefallene Guerillakämpfer ausgegeben wurden. Im Kolumbien sind diese Verbrechen als »Falsos positivos« bekannt. Der JEP zufolge fielen dieser Praxis landesweit mehr als 6.400 Zivilisten zum Opfer, der Großteil zwischen 2002 und 2008 während der Amtszeit des ultrarechten Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Es ist einer der sechs Fälle des JEP, um den bewaffneten und sozialen Konflikt in dem südamerikanischen Land aufzuarbeiten.

Montoya ist bereits das zweite Mal in Zusammenhang mit »Fall 03« vorgeladen. Bei der Anhörung im September soll er über seine Zeit als Kommandeur der sogenannten 4. Brigade, die im nordwestlichen Antioquia agiert, aussagen. Dem Sondertribunal zufolge begingen Angehörige der Brigade zwischen 2002 und 2003 Verbrechen, zu denen neben Morden an Zivilisten auch Fälle des gewaltsamen »Verschwindenlassens« von Personen gehörten. Laut JEP wird Montoya sowohl in Berichten der Generalstaatsanwaltschaft und von Menschenrechtsorganisationen als auch in Aussagen von 16 weiteren Angeklagten erwähnt.

Erst am Montag hatte das Sondertribunal mitgeteilt, 22 Militärs unterschiedlichen Ranges der »16. Brigade«, einen früheren Geheimdienstbeamten und zwei Zivilisten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Verbindung mit »Falsos positivos« angeklagt zu haben. Die Ermittlung umfasst zwischen 2005 und 2008 im östlichen Departamento Casanare begangene Straftaten, bei denen mehr als 300 Zivilisten ermordet und danach als gefallene Guerilleros oder Verbrecher präsentiert wurden: mit Kleidung, Waffen, und Munition versehen, was die Brigade als »Kit de legalización«, etwa »Legalisierungsausstattung« bezeichnete. Die Militäreinheiten hätten dabei neben öffentlichen Geldern auch über Mittel aus Vereinbarungen mit Ölkonzernen verfügt. Für die Beschuldigten gilt eine 30tägige Frist, um ihrerseits Argumente und Beweise vorzulegen.

Die meisten Opfer waren laut JEP junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Das Sondertribunal stellte auch den Mord an neun Frauen fest, eine von ihnen schwanger; zwei weitere waren Sexarbeiterinnen. Außerdem waren ein junger Mann der LGBTIQ-Gemeinde und Menschen mit geistigen Behinderungen darunter. Es ist das erste Mal, dass das Sondergericht Anklage wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschheit erhebt. Außerdem wird erstmals der Einsatz von Kindern und Jugendlichen als Kriegsverbrechen anklagt. Den Ermittlungen zufolge waren in einigen Fällen Minderjährige an den Verbrechen beteiligt.

Fast zwei Drittel der seinerzeit von der Brigade gemeldeten militärischen Ergebnisse waren »Falsos positivos« und wurden als Indikator für militärischen Erfolg angesehen. »Es waren keine isolierten oder spontanen Taten«, so die JEP. Zwei »kriminelle Muster« soll es bei den Morden und dem gewaltsamen Verschwindenlassen von Menschen gegeben haben. Beim ersten trieb die Militärs der Wunsch an, Gemeinden, die angeblich Verbindungen zu aufständischen oder kriminellen Gruppen hatten, auszulöschen. Viele Gemeinden wurden dabei stigmatisiert und verfolgt, die Opfer ohne jegliche Beweise und unbewaffnet getötet. Beim zweiten Muster gab es einerseits großen Druck und sogar Drohungen, denen die Militärs ausgesetzt waren, andererseits Vorteile, die den Tätern gewährt wurden, wenn sie die gewünschten Ergebnisse lieferten. Unter anderem erhielten die Mitglieder der »16. Brigade« Urlaub, Sonderverpflegung, Lehrgänge im Ausland oder Versetzungen und bessere Möglichkeiten einer Beförderung.

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